Im Jahr 2021 wurden 2557 Kinder und Jugendliche im Land Salzburg von der Kinder- und Jugendhilfe betreut. Davon sind rund ein Viertel (26, 9%) in der „vollen Erziehung“, d.h. in sozialpädagogischen Einrichtungen (betreuten WGs) oder bei Pflegefamilien, untergebracht. Hinzu kommen noch rund 160 junge Erwachsene, im Alter zwischen 18 und 21 Jahren, die ebenfalls in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe unterstützt werden. (Statistik Austria, Pressemitteilung: 12.863-161/22)
Die Lebensgestaltung von Kindern und Jugendlichen, die unter den Rahmenbedingungen einer Fremdbetreuung aufwachsen, sind von vielfältigen sozialen Ungleichheitsdimensionen markiert, die auch biographisch bedeutsam sind. Aus diesem Grund wird die Adressat:innengruppe der Kinder- und Jugendhilfe aus einer sozialpädagogischen Perspektive als besonders vulnerabel betrachtet, da ihre Möglichkeiten einer individuellen Lebensgestaltung im Sinne eines „gelingenderen Alltag[s]“ (Thiersch, Grundwald & Köngeter, 2012, S. 178) stark von den zur Verfügung stehenden Hilfe- und Unterstützungsangeboten abhängig sind.
Unter der Schirmherrschaft der FICE Austria wurde jüngst mit einer Vielzahl österreichscher Jugendhilfeträger und wissenschaftlicher Einrichtungen der Versuch unternommen, die für Österreich charakteristische föderale (Un-)Ordnung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe zu vereinheitlichen und in enger Abstimmung mit der Kinderrechtskonvention entsprechende Qualitätsstandards für die Kinder- und Jugendhilfe zu entwickeln. Dieses bundesweite und trägerübergreifende Projekt entstand unter anderem auch aus der Überzeugung heraus, dass „allen Kindern und Jugendlichen in stationärer Betreuung grundsätzlich das Recht auf eine höchstmögliche und vergleichbare Qualität zusteht“ (FICE, 2019, S.13).
Zusammen mit dem Recht auf „Schutz und Unversehrtheit“ von Kindern und Jugendlichen, ist das „Recht auf Partizipation“ das Kernelement der Kinderrechtskonvention, das auch die sozialpädagogische und rechtliche Perspektive eint. Partizipation wird hier nicht nur im Hinblick auf das „Kindeswohl“ (bspw. Recht auf Mitsprache) verstanden, vielmehr wird das Konzept der „Partizipation“ in einer breiteren Auslegung und unter Berücksichtigung verschiedener Facetten als eine Art „Testmaß“ für die Qualität der sozialpädagogischen Intervention gesehen. (vgl. FICE, 2019, S. 23).
Vor diesem Hintergrund spannt sich der vorliegende Projektvorschlag auf, der versuchen möchte, dem bestehenden Bedarf der Erkundung der Dimensionen von Partizipation in der stationären Fremdunterbringung, insbesondere in betreuten Wohngemeinschaften in Salzburg, nachzukommen. Ausgehend von den träger- und bundeslandübergreifenden Standards der FICE für die Kinder- und Jugendhilfe als Orientierungsschablone für Qualitätsmerkmale, erhoffen wir so einen ersten Einblick in ein hochdynamisches und komplexes Feld zu bekommen.
Das geplante Projekt verfolgt das Ziel, eine erste Erkundungsstudie durchzuführen, um erste empirische Daten zu erheben, die den aktuellen Ist-Stand in sozialpädagogischen Wohneinheiten beleuchten können.
Partizipation als Qualitätsmerkmal soll hier als breit angelegter Fokus erlauben, verschiedene Dimensionen von partizipativen Strukturen aufzuzeigen. Ebenso soll versucht werden, diesen Fokus aus beiden Perspektiven der Hauptakteur:innen im Feld einzufangen (Fachkräfte & Adressat:innen).
So soll einerseits die Perspektive der Fachkräfte hinsichtlich der Rahmenbedingungen, Qualifikationserfordernisse und Umsetzungsstrategien in der täglichen Praxis erhoben werden. Andererseits soll insbesondere auch die Adressat:innenperspektive berücksichtigt werden, um auf diesem Weg Einblicke in mögliche Herstellungs- und Aushandlungsprozesse von Partizipationsstrukturen und deren komplexe Bedingungsgefüge zu gewinnen. So können erste Erkenntnisse gewonnen werden, um Möglichkeiten und Grenzen in der Umsetzung von Partizipation auszumachen. Diese sollten dann in einer Fortsetzungsstudie in einem breiteren empirischen Feld genauer und differenzierter eruiert werden.
Ziel ist es, mit dem vorliegenden Projektvorschlag einen ersten Ist-Stand zu erheben, um daraus erste, kontrastierende Hypothesen generieren zu können.
Übergreifende Frage:
• Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit Jugendliche ihr Recht zur Partizipation in diesem komplexen und dynamischen Feld in Anspruch nehmen können?