Das Vertrauen in ein automatisiertes System kennzeichnet sich durch die Erwartungshaltung, dass dieses eine Person in einer Situation unterstützt, die durch Ungewissheit und Verletzbarkeit gekennzeichnet ist. Wichtig ist es somit zu wissen, in welcher Situation man sich auf eine intelligente Funktion verlassen sollte und wann nicht. Wenn die Verlässlichkeit der intelligenten Funktion unter- oder überschätzt wird, sie also nicht gut genug “kalibriert” ist, dann führt dies zu Distrust oder Overtrust. Wenn diese Phänomene häufig vorkommen, kann sich dies negativ auf die langfristige Akzeptanz von KI-basierten Anwendungen auswirken. Reliability Displays sind in den letzten Jahren vorgeschlagen worden, um solche Informationen zur Verlässlichkeit von intelligenten Systemfunktionen zu bieten und somit die Erwartungshaltung mit den eigentlichen Systemfähigkeiten in Einklang zu bringen. Es handelt sich bei Reliability Displays keineswegs um den Versuch, "NutzerInnen zu kalibrieren" bzw zu bestimmten Verhaltensweisen zu bringen, sondern es soll diesen eine Möglichkeit an die Hand gegeben werden, ihre eigene akzeptanz- und vertrauensbezogene Einstellung zu einer Systemfunktion anzupassen. Es erscheint einleuchtend, dass Informationen zur Verlässlichkeit (Reliability Displays) eine wichtige Rolle spielen können. Daher ist es umso erstaunlicher, dass diese weder weit verbreitet sind noch genau erforscht sind. Ein wichtiger Beitrag des Sondierungsprojekts CALIBRaiTE ist es, Reliability Displays in den Vordergrund der Betrachtung zu rücken und deren Potentiale und Einschränkungen sehr sichtbar zu präsentieren und zu reflektieren. Durch diese vorbereitende Exploration könnte dann die Grundlage für effektive Forschungs- und Entwicklungsentscheidungen getroffen werden.
Initiativen für eine systematischere Betrachtung von Reliability Displays sind in den letzten Jahren im Bereich des (teil-)automatisierten Fahrens unternommen worden, wie beispielsweise Spurhalteassistenten. Die Ergebnisse erster Studien in diesem Bereich sind ermutigend, allerdings sind hier noch weitere Untersuchungen notwendig. In anderen Systembereichen mit intelligenten Funktionen, insbesondere der industriellen Produktion, gibt es zwar in den letzten Jahren ein größeres Bewusstsein für nutzerInnenzentriertes Design - allerdings entstehen Designs eher arbiträr in Form von informellen praktischen Belangen geleitet, wodurch bisher Reliability Displays in diesem Sektor noch nicht übergriefend analysiert worden sind. Eine grundlegende Herausforderungen lautet in diesem Sinne: wie können Reliability Displays in Zusammenhang mit KI-basierten Systemen verwendet werden, sodass ein angemessenes Vertrauensniveau ermöglicht wird?
Ein in letzter Zeit besonders relevant gewordener Bereich innerhalb der industriellen Produktion, der sich durch ein hohes Maß an KI-basierten Ansätzen auszeichnet, ist die vorausschauende Wartung (predictive maintenance). Dieser Geschäftsbereich adressiert einen wichtigen Hoffnungsmarkt für österreichische Unternehmen und sollte somit aktiv in ihren Bestrebungen für verbesserte, KI-basierte Produkte unterstützt werden. Einer dieser innovativen Produktbereiche, die einen Differenzierungsfaktor für österreichische Unternehmen darstellen können sind verbesserte Mensch-Maschine Schnittstellen. Auch hier sollten Nutzer ständig im Bilde darüber sein, ob die Vorhersagen solcher Systeme vertrauenswürdig sind und ob sie deren Empfehlungen befolgen sollen oder nicht. Der heutige betriebliche Alltag zeigt allerdings ein gegensätzliches Bild: derzeitige Dashboards an Produktionsstandorten lassen NutzerInnen im Unklaren darüber, auf welcher Datenqualität ihre Vorschläge und Bewertungen beruhen und was die zugrundeliegende Algorithmik ist.
Im konkret betrachteten Fall werden bei einer Assembly Line eines Automobilherstellers, welche die Aufgabenstellung einer Just-in-Sequence-Produktion hat, wo zu verbauende Teile nicht zwischengelagert werden sondern direkt an die Linie angeliefert werden. Eine Verzögerung mehrer Teile macht eine sehr teure Neuplanung bzw ein Rescheduling notwendig oder führt im schlimmsten Fall zu einem Linienstop. In der prädiktiven Wartung
wird daher das Wartungsintervall sowie die Wahrscheinlichkeit für einen wartungsbedingten Ausfall für jede Maschine berechnet und in die Produktionsplanung berücksichtigt. Das Ziel ist es, durch prädiktive Wartung die vorhersehbaren Wartungsintervalle so zu planen, dass diese den Betrieb nicht stören und gleichzeitig die Wahrscheinlichket eines unvorhersehbaren wartungsbedingten Ausfalls möglichst auf Null reduziert. Um sowohl den Ist-Zustand der Maschine als auch den zu erwartenden zukünftigen Zustand der Maschine anzuzeigen, werden aufgrund von verschiedener Sensordaten an der Maschine sowie der Maschine selbst Daten gesammelt, diese werden aggregiert und erlauben dadurch eine Darstellung des Zustandes sowie eine Abschätzung über die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls in der Zukunft.
Eine dringende Herausforderung aus diesem speziellen österreichischen Industriebereich ist es, die tatsächlichen Daten sowie die errechneten Daten zur zukünftigen Einschätzung so darzustellen, dass es zu keiner Missinterpretation kommt. Weiters können bereits von einer vertrauenswürdigen Person geschätzte Zustände vertrauensvoller dargestellt werden als Daten die ohne menschlicher Kontrolle aggregiert wurden. Weiters besteht aus diesem Anwendungsbereich der Bedarf, Ergebnisse einer sub-symbolischen KI - die eine gewisse Abstraktion und Ungenauigkeit aufgrund ihre Struktur haben muss - anders darzustellen als beispielsweise Ergebnisse einer symbolischen KI, die als formal korrekt anzusehen ist. Das Projekt CALIBRaiTE setzt es sich daher zum Ziel, wichtige Weichenstellungen für die Vertrauenskalibrierung zu liefern. Erstens soll eine Abschätzung bzgl der Eignung von Reliability Displays für prädiktive Funktionen in der industriellen Produktion ermöglicht werden, um eine Potentialisierung für weitere entsprechende Vorhaben zu ermöglichen. Hierbei ist insbesondere der Aspekt der individuellen und innerbetrieblichen Akzeptanz relevant. Zweitens soll überprüft werden, inwiefern die Design Pattern Methode ein passender Ansatz für die Entwicklung von Reliability Displays sein sollen. Dies soll anhand der testweisen Erstellung beispielhafter, Reliability Display Designmuster für den untersuchten Anwendungsfall erprobt werden. Um die Wirkung von Reliability Displays einschätzen zu können, wird drittens aus der Informatikperspektive die für Reliabiility Displays zentrale Komponente der Ungewissheit (Uncertainty) in Form von Szenarien, Kontextfaktoren und Key Performance Indicators (KPIs) untersucht, wie zB die zugrundeliegenede Datenqualität, die Relevanz des Ereignisses und die Komplexität der Situation in prädiktiven Wartungsservices.
In Zusammenhang mit allen drei oben genannten Zielen zielt CALIBRaiTE auf die Erprobung eines partizipativen Entwicklungs- und Reflexionsansatzes für Reliability Displays ab, der sich durch eine iterative Herangehensweise auszeichnet, bei der zuerst das Anwendungsszenario der prädiktiven Wartung im Produktionsberiech unter Einbindung verschiedener Stakeholder untersucht wird, und in der Folge mit ausgewählten NutzerInnen des Systems mit entsprechender Domänenexpertise ein co-kreativer Patterndesign Prozess durchgeführt wird, welcher dann in Form eines Vergleichs mehrerer Patternvarianten weitergeführt wird. Das ultimative Ziel des Sondierungsprojekts ist es, Entscheidungen zu Folgeaktivitäten zu ermöglichen, sowie diese bestmöglich zu motivieren. Neben der grundsätzlichen Abschätzung des Potentials bzw der Eignung kann die Erprobung von der Design Pattern Methodik, die technische Modellierung der Ungewissheit, sowie der partizipative Entwicklungsprozess hierfür einen signifikanten Beitrag leisten.